Schlagwort: Lernen

BundesClouds und Dienstrechner

Mal kurz gebloggt, weil es gerade durch die Medien geistert und der Podcast von Guido und mir heute leider ausgefallen ist… 

Heute kam die Meldung über SpOn raus, dass eine bundeseinheitliche Schulcloud „Utopie“ ist (Artikel hier entlang). Flankiert wird diese Meldung von den Nachrichten aus den letzten Tagen wie „Großer Blackout bei Facebook“ oder dass bei Twitch eine ganze Menge an Daten herausgetragen worden sind. Gleichzeitig berichtete Frances Haugen vor dem US-Kongress aus dem inneren Kreis von Facebook, was wir eh alle über SocialMedia wussten, aber nun nochmal um die Ohren gehauen bekommen. Und wahrscheinlich werden die meisten weiter machen wie bisher.

In der (Parallel-)Welt der Schulen läuft derweil die Frage des richtigen LMS heiß und die Admins an den Schulen und bei den Schulträgern sind damit beschäftigt, die Unmengen an dienstlichen und pädagogischen Rechnern, die gerade für Lehrer*innen und Schüler*innen beschafft werden, irgendwie in Betrieb zu nehmen – und sich zum Beispiel damit rumzuschlagen, wer eigentlich die Verantwortung (z.B. beim Datenschutz) für die installierten Apps trägt.

Ich frage mich in dieser Melange von Themen, ob wir nicht in den letzten Jahren an irgendeiner Stelle falsch abgebogen sind…
All den Themen liegt ein Sachverhalt zu Grunde, der in der Diskussion meiner Meinung nach zu wenig Berücksichtigung findet: Wo bleibt meine Autonomie? Wo bleibt meine Verantwortung? 

Beispiel Schulcloud: Warum brauchen wir eine „Schulcloud“ eigentlich? Die Forderung kommt  AFAIK aus den Nuller-Jahren, wo „Server“ und vor allem der Zugriff darauf Mangelware waren. Inzwischen ist das nicht mehr der Fall. 

Warum brauchen wir eine einheitliche Cloud? Warum kann nicht jede*r Lernende, jede*r Lehrende sich sein eigenes PLE kreieren? Wichtig ist doch, dass wir uns auf Standards für den Austausch einigen – und nach Bedarf mal auf ein kollaboratives Tool zurückgreifen, wenn es der Arbeitsprozess erfordert. Aber: Nur für den Prozess, auf Zeit. Danach speichert jede*r eigenverantwortlich ihre/seine Daten ab. Gerne auch online bzw. mit einem dortigen Backup. Ich spreche mich ja nicht gegen Online-Tools, sondern nur gegen das „einheitliche“ einer Cloud aus.

Wer von den wehrten Leser*innen arbeitet erfolgreich und produktiv in einer Cloud-Lösung, die ihm von seinem Arbeitgeber, von seiner Schule oder sonstwem vor die Nase gesetzt worden ist? Ich tue das nicht. Nur für sporadische Arbeitsaufträge oder Projekte.
Die Basis meiner Arbeit ist auf dem Speicher meines Rechners gelagert.

Thomas de Maizière wird in dem SpOn Artikel zitiert mit: „Die Studie zeigt klar, dass die immer wieder geforderte bundeseinheitliche Schulcloud eine Utopie ist.“ Was, wenn sie das nicht nur auf bundesebene so ist, sondern auch auf den anderen Ebenen?

Nutzen wir auch in den Bundesländern / in den Kommune alle die gleichen Schreibwerkzeuge? Oder das gleiche Sportzeug? Nein, weil wir das – meist nach einer initialen Empfehlung – in die Verantwortung des Einzelnen geben. Und wir haben Rahmenbedingungen formuliert, die greifen. (Wie beispielsweise beim Sportzeug: „Nicht färbende Sohlen für den Hallenboden!“.)

Bei den dienstlichen Rechnern sehe ich eine ähnliche Problematik: Im letzten Podcast hatte ich mich dazu schon ausgelassen. Kurz gefasst: Ich halte es für einen Irrweg, ein Anspruchsdenken zu entwickeln, dass Staat und Gesellschaft dafür verantwortlich sind, alle Lehrer*innen und alle Schüler*innen mit einem von dem Schulträger administrierten Gerät auszustatten. Das wird dazu führen, dass – wie bisher – die, die es sich leisten können (oder wollen), ein eigenes Gerät erwerben und damit ungleich produktiver, kreativer, flexibler umgehen werden. 

(Dem Lernen und Arbeiten in der Schule liegt ein anderes Selbstverständnis zu Grunde als dem Arbeiten als Angestellter in einem Betrieb, dem für eine ganz spezielle Aufgabe ein Computer (Dienstrechner) zur Verfügung gestellt wird. Das Konzept lässt sich auf den pädagogischen Bereich von Schule nicht übertragen.)

Statt wie aktuell die Rechner an die Schulen zu „werfen“ wäre es viel sinnvoller, die sozialen Sicherungssysteme so auszubauen, dass wir alle in individueller Verantwortung ein Gerät beschaffen können, welches dann in den Lernprozessen genutzt wird. Standards zum Austausch zu definieren, fällt heute leichter denn je, denn es gibt für fast jede Form des Medienaustaushes etablierte Formate, die auf allen Plattformen gängig sind und ex- bzw. importiert werden können (PDF, docx, ePub, etc.). Das zu definieren ist sicherlich nicht einfach, aber machbar.

Mit dem aktuellen Weg begeben wir uns alle sehenden Auges in eine Abhängigkeit von Autoritäten. Wir verlieren unsere Unabhängigkeit und vor allem: die Fähigkeit, und selber zu organisieren, die Wahl des Werkzeuges selber zu treffen. War nicht eine Erkenntnis des frühen Web 2.0, dass gerade die Wahl des Werkzeuges eine der zentralen Kompetenzen ist, da die Werkzeuge ständig wechseln? Wir steuern gerade auf ein anderes Ziel zu…

Und noch ein Nachsatz: 
Selbstverständlich sollte es jeder/m frei stehen, ob und wenn ja, in welchen goldenen Käfig sie/er sich begibt. Wir sollten dabei sicherstellen, dass wir damit nicht andere vom Austausch ausschließen. Und diesen Schritt tun wir – jede/r für sich – individuell und selbstverantwortlich.

Gedanken zum Umgang mit der aktuellen Situation

Ich habe das Gefühl, dass derzeit viele Menschen – auch im Kontext Schule – erfolgreich verdrängen, dass alles, was wir gerade tun, möglicherweise (bzw. fast sicher) noch 1,5 Jahre anhalten wird.
Denn es scheint nur zwei Strategien zu geben, wie wir mit der Pandemie umgehen können:

  1. Es wird ein Impfstoff gefunden und er kann relativ zeitnah nach seiner Entwicklung für alle verfügbar gemacht werden. Zeithorizont für diese Entwicklung ist wohl ~18 Monate. Dauert also noch.
  2. Eine radikale Containment-Strategie, die das Ziel hat, den Virus komplett kontrolliert im Schach zu halten und die alle Infektionsketten verfolgt und stilllegt. Davon haben wir uns in NRW gerade mit den „Lockerungen“ verabschiedet. Das wird wohl nichts mehr.

Demnach bleibt eigentlich nur Punkt 1., also das Warten auf den Impfstoff. Und das dauert. Es wird keine so genannten „Normalität“ in den nächsten 18 Monaten geben. Dieses und das kommende Schuljahr werden also unter besonderen Bedingungen laufen.
(Und ob und wie diese besonderen Bedingungen dann Teil einer Normalität nach Corona werden, wird sich zeigen. Ich glaube, ein „so wie vorher“ wird es so schnell nicht geben.)

Ich halte es daher für fahrlässig, wenn wir nun alle zwei Wochen neue Maßnahmen verkünden und dabei still und heimlich hoffen, dass es bis zur nächsten Verkündigung vielleicht alles vorbei sein wird. Wird es nicht.

Es macht jetzt Sinn, sich hinzusetzen und zu überlegen, wie eine mittel- bis langfristige Strategie aussehen könnte, um „Schule“ unter diesen besonderen Bedingungen zu gestalten. Die „Digitalisierung“ der Schulen steht ja durch den DigitalPakt eh im Fokus.

Bereits seit fünf Wochen (inkl. Osterferien) haben wir jetzt diese „besondere Situation“. Und es wäre Zeit gewesen – oder ist es jetzt erst Recht – sich mit den Problemen auseinander zu setzen, unter denen die meisten Schulen leiden.
Ich möchte zwei Ebenen unterscheiden: Die didaktische und die technische.

Didaktisch:

Die Aufgabenformate, die wir etabliert haben, basieren auf der Arbeit im Klassenzimmer. Und die einfache Übertragung in einen virtuellen Lernraum offenbart in vielen Fällen, wie unpraktisch (und anachronistisch) die sich daraus ergebenen Wege sind. Arbeitsblätter verschicken, ausdrucken, ausfüllen, einscannen (oder photographieren) und dann wieder zurück schicken, damit sie erneut ausgedruckt, korrigiert, eingescannt (oder photographiert) und verschickt werden können… Das kann es nicht sein.

Wir müssen klären, welche Aufgabenformate bzw. welche Projektformen unter den neuen Bedingungen möglich sind. Rahmenbedingung: Die Formate müssen sowohl im Präsenzunterricht in der Klasse wie auch im Remote-Lernen im virtuellen Lernraum umsetzbar sein.

Und wir müssen uns über Klausuren, Arbeiten, Notengebung und Prüfungen Gedanken machen. Wie sieht eine handhabbare Strategie aus, die in diesem und im nächsten Schuljahr umsetzbar ist? Brauchen wir eine Klausur pro Quartal? Oder drei Klassenarbeiten pro Halbjahr? Wie sieht eine „SoMi“-Note bei der Nutzung von Google Classroom, iServ etc. aus?

Technisch:

Im letzten Absatz wurde schon deutlich: Wir brauchen eine verpflichtende Lernplattform an allen Schulen. Es muss keine einheitliche sein, aber es muss Vorgaben geben, dass eine Plattform für den Austausch zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen gegeben sein muss. Es kann und darf doch nicht sein, dass auch im Jahr 2020 noch Schulen ohne digitale Kommunikations-Infrastruktur dastehen.

Es gibt viele Lerrnplattform-Angebote, jedes Bundesland hat seine eigene Bildungs-Cloud, der Bund auch. Dann gibt es noch die freien Anbieter. Es mangelt nicht an Möglichkeiten, sondern an dem (politischen) Gestaltungswillen, gegen all die Bedenken um Datenschutz, Urheberrecht & Co. eine klare Entscheidung zu treffen.

Warum haben wir in den letzten Woche nicht unendlich Ressourcen auf LOGINEO geschmissen und es per Erlass als Austauschplattform in NRW festgesetzt und den sofortigen Zugang für alle Schüler_innen kostenfrei für die Kommunen ermöglicht? Oder – wenn das nicht geht – einen anderen Anbieter ausgewählt, der sich dazu in der Lage sieht? iServ, its-learning oder gar die Bundes-HPI-Cloud? Klar, gerade im letzten Fall würde es heftigen Gegenwind geben (→ PM von iServ), aber die aktuelle Situation ist auch nicht tragbar.

Wir haben Schulen im Land, die legen den Eltern Stapel von kopierten Arbeitsblättern in den Schulflur, sodass sich die Eltern dort bedienen können und die Arbeitsblätter später dann in den Briefkasten wieder abgeben können. Das ist ok – und ich verurteile das nicht. Es ist eine kreative und pragmatische Lösung unter den gegebenen Bedingungen.
Nur: Wenn diese Bedingungen für die nächsten 1,5 Jahre absehbar eine „Normalität“ sein werden: Sollten wir dann nicht überlegen, daran etwas zu ändern.

Statt die Schulen jetzt im Hau-Ruck Verfahren zu öffnen und sich auch (oder: vor allem?) den ökonomischen Interessen zu beugen, warum nutzen wir die Zeit bis zu den Sommerferien nicht für die Bearbeitung folgender Fragen:

  1. Welche Aufgabenformate lassen sich in physischen und virtuellen Lern-Räumen gleichwertig umsetzen? Bzw. wie können diese nebeneinander bestehen und sich gleichwertig substituieren.
  2. Wie gestalten wir die Notengebung?
  3. Wie gehen wir im nächsten Schuljahr mit den Prüfungsordnungen und Lehrplänen um?
  4. Welche Lern-Umgebung wird allen Schulen zur Verfügung gestellt?

Idee: Wir nutzen die kommenden zwei Monate, um Schulen, Lehrer_innen und Unterricht halbwegs fit zu machen für das virtuelle Lernen. Und starten dann in Ruhe und mit Konzept in das kommende Schuljahr.

Wenn die obigen Fragen geklärt sind, ist es kein Problem für das Lehr-Lern-Setting, wenn sich Phasen der Präsenz und des Online-Lernens abwechseln. Das kann sogar kurzfristig geschehen (wobei ich jetzt nur die Perspektive auf den Lehr-Lern-Prozess habe und nicht die Betreuungssituation einbeziehe!).

Maik Rieken hat sich auch darüber Gedanken gemacht. Sehr pragmatisch. Lesenswert.

Die aktuelle Situation ist einmalig. Es ist eine echte Ausnahmesituation. Und es ist wichtig, dass man zuerst einmal auf Sicht fährt. Das haben wir jetzt ein paar Wochen getan und können langsam den Kopf erheben und etwas weiter schauen. 18 Monate sind eine lange Zeit. Ich hoffe, wir nutzen unsere Kreativität, um die „Schule“ in der aktuellen Situation so zu gestalten, dass sie ihrem Bildungsauftrag gerecht wird. Dies geschieht nicht durch Abwarten und die Rückführung in eine scheinbare „Normalität“ von geöffneten Schulen, sondern indem wir realisieren, dass dies ein längerer Zustand wird und diesen gestalten.

Kommentar: Corona und der DigitalPakt

Tobias Frischholz hat mich gefragt, ob ich was zu der Frage „Wird der DigitalPakt bis 2024 etwas verändern?“ sagen kann. Ich versuche es mal.

Die Schulen werden sich in den nächsten 4 Jahren ganz Wesentliches ändern – in ihrer physischen Beschaffenheit. Wir werden flächendeckendes WLAN haben, schnelle Internetanbindungen und vor allem in jedem Klassenraum eine Möglichkeit zur Präsentation von digitalen Inhalten. Ob dies Beamer, Interaktive Tafel oder große Bildschirme sind, ist zweitrangig. Dieser Entwicklungsschritt steht den Schulen sicher bevor und ist begrüßenswert. Fast möchte man rufen „Endlich!“.

Unklar ist aber, ob dies nachhaltig etwas an Schule verändern wird und sie damit fit für die Herausforderungen der Kultur der Digitalität wird. Die Corona Krise hat offenbart, wie eng wir das Konzept „Schule“ mit der Buchkultur verknüpft haben:

„Die Schule der Buchgesellschaft bleibt die Schule der Buchgesellschaft“.

(LisaRosa, Twitter, am 17.04.2020).

Nur wenige Schulen haben mit den aktuellen Einschränkungen kein Problem: Sie tragen die Lern-Räume halt ins Virtuelle, weil das eben auch bisher nie ein Widerspruch zum physischen (Klassen-)Raum war. Die meisten Schulen schaffen dies aber nicht. Und das ist kein Mangel an Kreativität der einzelnen Schule und des einzelnen Lehrenden, sondern ein gesellschaftlich-kulturelles Problem im Verständnis dessen, was „Schule“ ist – und sein soll.

Der DigitalPakt wird an dieser Grundproblematik nichts verändern. Der DigitalPakt schafft nur technische Grundlagen. Mit diesen Grundlagen neue Wege zu gehen und sich der Digitalität in allen Facetten zu stellen, liegt in der Verantwortung von uns allen. Wenn man die verzweifelten Diskussionen und Entscheidungsprozesse rund um das Abitur, die Leistungsbewertung, die Klausuren und Klassenarbeiten und die kausale Verknüpfung von „Lernen“ und „Klassenraum“ der letzten Wochen beobachtet, wird deutlich, dass wir hier öffentlich Widersprüche erleben, die wir nicht einfach nur länger ertragen können. Corona hat hier zu Tage treten lassen, was schon lange unter der Decke brodelte. Es liegt jetzt auf dem Tisch.